Gedenksymposium Hans Gummel anläßlich seines 30. Todesjahres

31. Oktober 2003, Berlin-Buch

S. Hunt, Berlin

Hans Gummel - von 1954 bis 1973 Leitender Chirurg und Direktor der Robert-Rössle-Klinik - gilt als einer der Nestoren der chirurgischen Onkologie und interdisziplinären onkologischen Forschung. Anlässlich seines 30. Todesjahres ludt Prof. Dr. Peter Schlag, Nachfolger Gummels im Amt des Direktors der Robert-Rössle-Klinik, zu einem Gedenksymposium ein, um das Lebenswerk von Hans Gummel zu ehren und sich auf die Wurzeln der modernen chirurgischen Tumortherapie zurück zu besinnen. Viele der Gäste hatten Hans Gummel noch persönlich kennengelernt oder sogar mit ihm zusammengearbeitet.

Der 1908 in Berlin geborene Hans Gummel studierte von 1928-1933 Medizin in Rostock, Innsbruck und Berlin. Von 1934 bis 1937 war er Assistenzarzt an der Charité bei Prof. Robert Rössle, Direktor des Instituts für Pathologie, und bei Prof. Wolfgang Heubner, Direktor des Instituts für Pharmakologie. In diesen Jahren erwarb sich Hans Gummel die Grundlagen naturwissenschaftlich begründeter Denk- und Arbeitsmethoden, die, wie er selbst immer wieder bekundete, in seiner späteren klinischen Tätigkeit und insbesondere auf dem Gebiet der Onkologie, sehr wichtig waren. Entscheidend für Hans Gummels Hinwendung zur Onkologie war seine Tätigkeit an der Chirurgischen Klinik der Universität zu Breslau (1937-1945), die bis 1943 unter Leitung des namhaften Krebsforschers und Chirurgen K.H. Bauer stand, dem späteren Gründer des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg.

Prägung durch K.H. Bauer

Prof. Herfarth zeichnete den Lebensweg des großartigen onkologischen Klinikers und Forschers und führte aus, wie Bauer als Lehrer Gummels dessen Denken und Handeln prägte. Bauer hatte gerade die Tumorthese: „Was Krebs erzeugt, heilt Krebs“ und die weitsichtige Folgerung der Synkarzinogenese und Synkarzinolyse aufgestellt. Bereits 1928 hatte er den Artikel: „Mutationstheorie der Geschwulst-Entstehung“ mit dem visionären Untertitel „Übergang von Körperzellen in Geschwulstzellen durch Gen-Änderung“ veröffentlicht. Diese Theorie K.H. Bauers konnte dann erst in den 80er Jahren durch die Entdeckungen der Molekularbiologie bestätigt werden.
Als Schüler Bauers war Hans Gummel neben seiner klinischen Arbeit – ab 1939 als Oberarzt – auch Leiter der Abteilung für experimentelle Geschwulstforschung. Er befasste sich insbesondere mit der Kanzerogenese durch Benzpyren, mit Fragen der endogenen Kanzerogenese durch mögliche Entgleisungen im Steroidstoffwechsel sowie mit Beziehungen zwischen Mastopathia cystica und Mammakarzinomen. Im Frühjahr 1945 wurde Gummels Tätigkeit in Breslau durch die Ereignisse des 2. Weltkrieges beendet.
1946 gründete Hans Gummel in Dresden ein Labor für Geschwulstforschung mit dem Ziel “des Nachweises und der Identifizierung körpereigener kanzerogener Stoffe zwecks Aufzeigung einer Stoffwechselentgleisung bei der Entstehung bösartiger Geschwülste.“ Zeitgleich war er als wissenschaftlicher Leiter eines Betriebes in Dresden am Aufbau der Penicillinproduktion in der damaligen sowjetischen Besatzungszone tätig.
1949 bewarb sich Gummel als Chirurg an der neu zu eröffnenden Geschwulstklinik in Berlin-Buch, einer Einrichtung des Instituts für Medizin und Biologie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Nach seiner Ernennung zum Professor 1953 wurde er 1954 als Nachfolger von Prof. Dr. Heinrich Cramer zum Leiter und Ärztlichen Direktor der Klinik ernannt, die er bis zu seinem Tod, kurz vor seinem 65. Geburtstag, leitete.

Generalist der Onkologie

Gummels besonderes Interesse galt von nun an dem Aufbau der Geschwulstklinik, der Entwicklung der klinischen Onkologie sowie der Krebsforschung . Hierbei zeichnete er sich neben seiner wissenschaftlichen und ärztlichen Arbeit auch durch besondere organisatorische Leistungen aus. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Klinik zu einer über die Grenzen der DDR hinaus führenden onkologischen Einrichtung. Als Chefchirurg baute er zusammen mit anderen Mitarbeitern die Abteilungen Chirurgie einschließlich Gynäkologie, Anästhesie, Radiologie einschließlich Nuklearmedizin, Patientennachsorge und Krebsstatistik auf. Entgegen dem damaligen Trend schuf Gummel an seiner Klinik die erste fachliche und organisatorisch selbstständige Anästhesie-Abteilung in Gesamtdeutschland. Aus der kleinen 55-Betten-Klinik im Jahr 1949 war eine moderne Klinik mit 220 Betten geworden.
Das persönliche und wissenschaftliche Interesse von Hans Gummel war insbesondere der Ätiologie und Genese des Mammakarzinoms gewidmet. Weitere Arbeitsgebiete waren die Erarbeitung von Richtlinien zur Früherkennung und Behandlung des Bronchial- und des Magenkarzinoms sowie Fragen der biologischen Wertigkeit maligner Geschwülste und Malignitätsstadien der Tumorprogression. So wurde eine Risikogruppeneinteilung der Ösophagus- und Magenkarzinome nach Gummel benannt. Weiterhin widmete er sich der Förderung kombinierter Behandlungsmethoden fortgeschrittener Tumoren. Als Chirurg befasste er sich schon sehr früh mit der großen Bauchchirurgie sowie mit operativen Behandlungsverfahren von Bronchialkarzinomen.
Zusätzlich übernahm Hans Gummel auch vielfältige wissenschaftsorganisatorische Aufgaben in zahlreichen Gremien, ab 1959 vor allem in der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in die er 1961 als ordentliches Mitglied gewählt wurde.

Vom Schüler zum Vorbild

Im Dezember 1959 fand unter Leitung von Hans Gummel ein internationales Symposium über Fragen der Karzinogenese in Berlin statt, an dem international führende Krebsforscher teilnahmen, u.a. auch K.H. Bauer aus Heidelberg. Bauer benutzte diesen Aufenthalt in Berlin, um sich ausführlich über Inhalte und Organisationsformen der klinischen und experimentellen Onkologie in Berlin-Buch zu informieren. Darüber äußerte er sich am 7. Juni 1973 in seinen Worten des Gedenkens anlässlich der Trauerfeier für seinen am 27. Mai 1973 verstorbenen ehemaligen Schüler und Mitarbeiter Hans Gummel:

Immer wird es mir wie ein Wissenschaftswunder vorkommen, als ich Ende 1959 anlässlich eines Berliner Symposiums über Karzinogenese in Berlin-Buch durch Hans Gummel bereits verwirklicht sah, was wir in Heidelberg erst erstrebten. In Berlin-Buch wurde aus meinem einstigen Schüler jetzt mein Lehrer. Gummel belehrte mich auch im Einzelnen über alles, inwieweit die Gunst der frühen Gesundheitspolitik in der DDR ausgenutzt und ausgewertet wurde für die Förderung der theoretischen und klinischen Krebsforschung. Ich bekam in Berlin-Buch aber auch bei anderen Stellen Einblick in alles, was mir für unseren Heidelberger Plan wichtig erschien.

1963 gelang Gummel die Vereinigung der Geschwulstklinik und des Instituts für experimentelle Krebsforschung zum Institut für Krebsforschung, um „dem komplexen Charakter der Krebsforschung als einer Hauptrichtung des Forschungszentrums Buch wirkungsvoll gerecht zu werden.“
In einer Festschrift zur Einweihung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg am 25. Oktober 1972 führte K.H. Bauer aus: „.. dass die DDR unter Leitung des Krebsklinikers Gummel schon längst ein Krebsforschungszentrum und eine Geschwulstklinik mit 200 Betten in Betrieb genommen hatte.“ Als vorbildlich nannte er auch die in der DDR seit 1952 bestehende gesetzliche Meldepflicht von Geschwulstkrankheiten, deren Überwachung in 165 Betreuungsstellen sowie das im Ministerium für Gesundheitswesen bestehende besondere Referat „Krebsbekämpfung“.
1969 entstand die „Gesellschaft für Geschwulstbekämpfung der DDR“, und 1971 wurde Gummel in Würdigung seiner Verdienste um die Onkologie zum Vorsitzenden und Ehrenmitglied dieser Gesellschaft gewählt. Als Auszeichnung für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung wurde die Hans-Gummel-Medaille von der Gesellschaft geschaffen. 1959 erhielt er den Nationalpreis für Wissenschaft und Technik der DDR.

Lehrer der Interdisziplinarität

Über Gummels Engagement in der Berliner Chirurgischen Gesellschaft (1951-1973), die ihn noch kurz vor seinem Tod zum Ehrenmitglied ernannte und deren ersten Vorsitz er mehrfach innehatte, berichtete prof. Dr. Gert Specht, der Ehrenvorsitzende der Berliner Chirurgischen Gesellschaft. Seine Vorträge in diesem Forum, z.B. “Inwieweit haben Dysplasien der Mamma klinische Bedeutung und Beziehung zum Karzinom“ (1952) oder „Die Beziehungen der biologischen Wertigkeit maligner Geschwülste im Hinblick auf die Überlebenszeit der Geschwulstträger“, verbanden in gelungener Weise experimentelle und klinische Forschung.
Den Menschen Gummel beschrieb Prof. Dr. Manfred Meyer – Anästhesist und 15 Jahre lang Mitarbeiter Gummels - als eleganten Operateur, der selbst die geringste Chance nutzte, um ein Überleben seiner Tumorpatienten zu ermöglichen. Als Vorgesetzter war er ein väterlicher Freund, der für jedermann ein offenes Ohr hatte und half, wo er konnte. Er war auch ein großartiger Lehrer, der seinen jungen Mitarbeitern zunehmend Gelegenheit gab, schwierigere Operationen selbständig durchzuführen, während er am Operationstisch assistierte. Durch Vorbildwirkung und Freiheit erzog er zu fachlicher Kompetenz. In Fällen fachübergreifender Ausbreitung von Tumoren holte sich Hans Gummel kompetente Fachchirurgen an seine Seite und praktizierte so schon damals eine interdisziplinäre Kooperation, die heute „modern“ genannt wird.
Senecas „Homo homini res sacra“ über dem Eingangsportal der Robert-Rössle-Klinik war stets Leitmotiv seiner grundsätzlich humanitären Haltung. Als Mensch litt er sehr darunter, dass er viele Patienten trotz intensivster Bemühungen letztendlich doch nicht heilen konnte. Dennoch gab er den Kampf nie auf. Der von ihm häufig zitierte Satz des Konfuzius “Es ist besser, das einzige kleinste Licht anzuzünden als die Dunkelheit zu verfluchen.“ war Ausdruck seiner Lebenshaltung.
In seinem Schlusswort nannte Prof. Dr. Joachim W. Dudenhausen, Dekan der Charité-Universitätsmedizin Berlin, es in dieser Zeit der Umbrüche als sehr wichtig, sich auf prägende, bedeutende Persönlichkeiten zurück zu besinnen. So sei es gerade für Berlin in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg von besonderer Bedeutung gewesen, Persönlichkeiten zu haben, die integrierend und nicht polarisierend wirkten - Hans Gummel war dafür ein glänzendes Beispiel. Insbesondere lobte Dudenhausen Gummels Diskussionsoffenheit, seine Verpflichtung zur Interdisziplinarität und seine, wie man heute sagen würde, „evidenzbasierte“ Einstellung zur Medizin. Gerade für die junge Generation sei es wichtig, sich solcher Persönlichkeiten zu erinnern.

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